Donnerstag, 17. Juni 2010

people change.shit happens.life goes on.

»Mama, ich wünschte, ich wäre tot.«

Worte, die einem normal denkenden Menschen das Herz zerreißen. Obwohl ich dieses schon vor fast vier Jahren schrieb, treibt es mir noch Heute die Tränen in die Augen.


Eine Geschichte, die ich im Rahmen meines Jobs während der psychiatrischen Arbeit in der Substitution erlebt und dann aufgeschrieben habe.


Es war ein früher Sonntagabend. Mein Sohn kam wie üblich vom Spielplatz.
»Ich will baden«, verkündete er selbstbewusst. »Sternchen, du hast heute morgen schon gebadet, zuviel Baden macht deine Haut so trocken«, entgegne ich und sehe wie er doch im Badezimmer verschwindet.
Kurz darauf rauscht das Wasser. Vorsichtig gehe ich hinterher. Der Kleine war gerade dabei die Badehose über seine Unterhose zu ziehen. »Darf ich mit T-Shirt und Unterhose baden? « Bevor ich antworten kann sitzt er schon in der Badewanne. Ich lache und will ihm frische Wäsche holen. Noch ehe ich das Badezimmer verlassen kann schreit er laut los. »Geh nicht weg. « »Ich hole dir eine frische Unterhose und ein Shirt«, antworte ich und gehe aus dem Zimmer. »Mach das Licht an und lass dir Tür auf«, kam in einem barschen Befehlston zurück.
Es war vier Uhr am Nachmittag und die Sonne fiel durch das Fenster.
So hatte ich meinen Sohn schon lange nicht mehr erlebt. Doch ich verwarf den Gedanken gleich wieder.
Wie üblich lasse ich ihn nicht allein, auch nicht in unserer kleinen Wohnung. Obwohl der Boden hart und kalt ist, knie ich mich vor die Badewanne und sehe zu wie der kleine im Wasser spielt. »Mama, hast du mich lieb?« Zärtlich wuschle ich durch seine dichten braunen Locken. »Ja, sehr sogar. « Seine schwarzen Augen blicken ängstlich. Ich denke an zerschlagene Scheiben oder zerkratzte Autos. »Du bist für mich die Sonne am Tag und die Sterne am Himmel in der Nacht. « Ich versuche zu lächeln.
Was ist denn jetzt schon wieder passiert? Ein Streit mit einem Freund, ein gestohlener Ball oder ein anderes Spielzeug? Oder….
»Warum hat der Mann das mit mir gemacht? « Mein Herz zieht sich zusammen. Mir wird speiübel.
»Weil er ein böser Mann war«, sage ich und erinnere mich an diesen verhängnisvollen Tag im Juli vor zwei Jahren. Dieser Tag hat unser Leben von Grund auf verändert. Am morgen war noch alles gut. Dann ging ich einkaufen und ließ meinen Sohn für fünfundzwanzig Minuten auf dem Spielplatz allein. Er liebte es zu schaukeln. Jetzt schaukelt er nicht mehr. »Mama, warum hat der Mann meinen Popo kaputt gemacht? «
»Ich weiß es nicht, mein Stern, aber ich glaube, er wollte zeigen, dass er dir wehtun kann. «
Ich habe Angst mich gleich übergeben zu müssen. Es ist das erste Mal, dass er mit mir darüber spricht. Darüber spricht er sonst nur mit seiner Psychotherapeutin Sonja. Nur mit ihr redet er über das, was damals geschehen war. »Warum hat der Mann seinen Pippimann in meinen Popo gesteckt und nicht aufgehört, als ich geweint habe, weil es wehgetan hat? « Ich kann mich kaum noch beherrschen und könnte losheulen.
»Weil er ein Schwein ist. … Weil er ein feiges kleines Schwein ist, das Angst vor Frauen hat. «
Vor zwei Jahren hatte er mir nichts erzählt, er saß nicht mehr auf der Schaukel, als ich zurückkam, sondern auf einer Bank. Er war still, zu still und trotzdem merkte ich nichts. Als wir bei meiner Freundin ankamen wollte er sofort in die Badewanne. Natürlich sah ich das Blut in seiner Unterhose und frage, was passiert ist. »Ich bin von der Wippe auf einen Stein gefallen. « Und ich glaubte ihm, vielleicht weil ich es nicht wahrhaben wollte oder weil es so unfassbar war. In dieser Nacht pinkelte mein Sohn das erste Mal in seinem Leben ins Bett. Es war ihm unheimlich peinlich, weil wir bei meiner Freundin im Urlaub sind. Er weinte und wollte mit in mein Bett. Am nächsten Morgen sehe ich mir seine Wunde richtig an. Es war alles aufgerissen, vom Anus bis zum Hoden. Der gesamte Damm sollte genäht werden müssen. Doch die Wunde war zu alt. Ich sollte die Verletzung eincremen und sauber halten. Sonst sagte der Arzt nichts und mein Sohn auch nicht.
Die nächsten Wochen pinkelte er wieder ins Bett und schläft bei mir. Ich mag es, wenn er zu mir ins Bett kriecht und ich höre nicht, dass er in den Nächten weint. Ich kaufte wieder Windeln und sehe nicht wie aggressiv er ist. Dann etwa ein knappes Jahr später erzählte er seinem Freund davon. Ich fragte ihn und er weint. Der Kinderarzt schickte uns zu einer Therapeutin, nach zwei Monaten wussten wir, was auf dem Spielplatz in Bremen passiert war. Mein kleiner fünf jähriger Sohn wurde brutal von einem Jugendlichen vergewaltigt. Die Zeit war schwierig, wir haben viel geweint und gesprochen. Er weiß bescheid, dass das, was der Mann getan hat, falsch war, und dass er keine Schuld hat. Aber mein Kleiner hat noch immer Angst um mich. Der Täter hatte ihm nämlich erzählt, dass er mich umbringen würde, wenn er etwas erzählen würde.
»So ein kleiner feiger Wicht kann mir doch nichts anhaben, ich bin doch viel stärker. … ich verspreche dir, dass ich dich immer lieb haben werde und wenn wieder so etwas passiert, müssen wir sofort zur Polizei gehen. « Seit einem halben Jahr pinkelt er nicht mehr ins Bett und schläft wieder in seinem Bett.
Mein Freund muss auf die Toilette und fragt, ob er hereinkommen dürfe. Ich lache und sage ja, aber mein Sohn sieht ihn böse an. »Wenn du deinen Schwanz in Mamas Vagina steckst oder in meinen Popo, dann bringe ich dich um! « Er schaut meinen Freund furchtbar wütend an und ich stehe kurz vor einer Ohnmacht. Alles zog sich in dieser Sekunde zusammen. Mein Herz rast, dass es in meinen Ohren rauscht, mir wird schwindelig. Selbst mein Freund vergas, was er im Bad wollte und ging unverrichteter Dinge wieder hinaus. Ich sehe echte Panik in seinen Augen. Es ist schrecklich, wie soll ich reagieren? Die Wahrheit ist so schrecklich. Ich knie mich hin und nehme das kleine Gesichtchen meines Sohnes in die Hände. »Was ist passiert?«, fragte ihn und wollte die Wahrheit doch nicht hören. Er sieht mir nicht in die Augen, er weint nicht, er sagt auch nichts. Ich hole mein Kind aus der Badewanne, wickle es in ein großes Badetuch und bringe ihn in mein Bett. Dort nehme ich ihn fest in meine Arme, küsse seine Stirn und Wangen.
»Sternchen, du bist mein Sonnenschein, sag mir bitte, was passiert ist. « Er fängt an zu weinen und klammert sich mit Armen und Beinen fest an mich. »Mama, ich wünschte, ich wäre tot«, winselt er leise vor sich hin. »Ich liebe dich, mein Kind. … Ich habe dich ganz doll lieb«, weine ich mit ihm, ich will den kleinen Mann nie wieder loslassen. Nach einer knappen Stunde hatten wir uns wieder beruhigt. Mein Sohn erzählt was passiert war. Er kann mir sogar einen Namen nennen. Ich bin so wütend, dass ich meinen großen Sohn bitte mit dem kleinen in meinem Bett zu kuscheln. Nachdem ich mich angezogen hatte, wollte ich zu dieser Familie gehen. »Mama, du kannst da nicht hingehen«, sagte mein Großer. Doch, ich bin grade in der richtigen Stimmung. Einer, der Jungen wohnte nur zwei Bushaltestellen von unserer Wohnung entfernt.
»Mama, lass uns lieber zur Polizei gehen. … Du hast es mir versprochen. « Der Kleine war weit aus vernünftiger als ich, wer weiß, wie ich abgegangen wäre, wenn ich den Jungen in die Finger bekommen hätte. Okay, ich bleibe. Mein Freund ist einfach weggegangen. Ich lege mich zu meinen Kindern. Wir reden miteinander. Der Kleine erzählt, was passiert war. Vier große Junges wären mit auf dem Spielplatz gewesen. Zwei von ihnen hätten ihren Pippimann aus der Hose geholt, während der Dritte seinen Hintern präsentierte. Der Vierte verläßt den Spielplatz. Zwei alte Damen fanden das nicht so toll, doch sie gehen weiter als hätten sie nichts gesehen. Die großen Jungs fordern die kleineren auf mitzumachen. Meiner will nicht, die großen Jungs lassen nicht locker und drohen. Die Situation entspannt sich erst, als die kleinen sich einen der großen aussuchen und ihn schlagen und treten. Ich komme nicht umhin meinen Sohn zu loben. »Ihr wart echt Klasse, … und das nächste Mal rennt einer von euch sofort zur nächsten Haustür und klingelt, um Hilfe zu holen.«
Am nächsten Tag ging ich mit meinem Sohn mit Absprache seiner Therapeutin und Lehrerin, danach zur Polizei. »Das ist kein Kavaliersdelikt mehr, das war eindeutig sexuelle Nötigung«, sagte der Polizist unmissverständlich.
»Wenn es möglich wäre, möchte ich von einer Strafanzeige absehen, es reicht sicherlich, wenn die drei Jungs ermahnt werden, sie sind sich ihrer Schuld bestimmt nicht bewusst«, bat ich den Beamten, dieser nickte zwar, schien aber nicht begeistert zu sein. Ich erkläre ihm meine Beweggründe. Letztendlich war er dann aber doch zufrieden.
Das war im Mai, mein kleiner Sohn wurde von einem der Jungen beschimpft. Er wollte wissen, warum ich zur Polizei gegangen bin. Ganz einfach, weil es falsch ist, sein Geschlechtsteil als fünfzehn jähriger einem sieben jährigen auf einem öffentlichen Spielplatz zu zeigen. In diesem Alter weiß ein junger Mann schon, was richtig und falsch ist.
Wenn ein kleines fünf jähriges Mädchen berichtet hätte, dass drei Jungendliche ihren Penis oder Hintern auf dem Spielplatz laut grölend präsentiert hätten, dann würde dem Kind und den Eltern mehr Verständnis entgegen gebracht werden.

»Ich wünschte, ich wäre tot. « Dieser Satz hat sich in mein Hirn gebrannt. Diese Worte stammen von einem sieben jährigen Jungen, der jede Nacht wach wird und unter Albträumen leidet.
Er fürchtet sich im Dunkeln. Mein Sohn kann nicht allein sein.
»Ich wünschte, ich wäre tot, dann kann mir keiner mehr wehtun, dann bin ich doch beim Lieben Gott, oder?« »Nein mein Sternchen, … Selbstmörder kommen in die Hölle, das Leben, das der liebe Gott dir geschenkt hat, kannst du doch nicht wegwerfen.«
»Aber die bösen Männer, die kommen doch in die Hölle, nicht wahr?« »Ja, bestimmt sogar.«
Der kleine Junge grinst zufrieden.



Der kleine Junge ist heute fast dreißig Jahre alt, drogensüchtig, Hepatitis C infiziert und geht anschaffen.
Ich durfte ihn im Sommer 2004 kennenlernen. Er fand seine Geschichte im Übrigen sehr ergreifend.
Für ihn war sie etwas Besonderes, weil ich aus der Sicht seiner Mutter schrieb.
Wenn meine Mutter so reagiert hätte wie Du, dann wäre ich heute nicht hier.
Natürlich habe ich Fantasie mit der Realität vermischt.

via: http://www.e-stories.de/view-kurzgeschichten.phtml?25674

Ich finde die Geschichte einfach total traurig. :(

- Tuth

2 Kommentare:

  1. Die Geschichte ist echt mal heftig... mehr kann man dazu glaub ich nicht sagen.

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  2. meine unbeschreibliche wut ist eigentlich schon lange in resignation übergegangen, doch dein beitrag entfacht wieder diese verdammte wut in mir auf solche kranke, perverse und egoistische schweine. sie bekommen höchstens ein paar jahre während die opfer ein leben lang leiden. eine nachfolge hast du mit deinem bekannten beschrieben, eine andere ist der ausbruch einer pysichischen krankheit, die ein leben lang mit medikamenten behandelt werden muss, trauer und angstzustände und eine kapputte kindheit und jugend. mehr möchte ich dazu nicht schreiben, denn es tut weh.

    danke für deine geschichte. sie ist sehr 'schön' (wobei schön das falsche wort für den inhalt ist) geschrieben.

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